Auf einen Kaffee mit der Integrations- und Migrationsbeauftragten der Kaufmännischen und Hauswirtschaftlichen Schulen (KHS) in Donaueschingen, Canan Sahin-Weber, der verantwortlichen Leiterin für die neue Schulart Vabo (Vorqualifizierung für Arbeit und Beruf ohne Deutschkenntnisse) an der KHS.

 

Für die Integrationsbeauftragte der KHS, Canan Sahin-Weber, hat die Flüchtlingsproblematik ein lachendes Gesicht bekommen, seit sie in der Vabo-Klasse unterrichtet. Mit SÜDKURIER-Mitarbeiter Jürgen Müller spricht sie darüber bei einem Kaffee. | Bild: Liebetanz

zum Bericht im Südkurier

 

Frau Sahin-Weber, seit wann beschäftigen Sie sich mit dem Thema Integration und Migration?

Ich wurde schon früh mit dem Leben in zwei Kulturen konfrontiert. Ich bin zwar in Deutschland geboren, aber meine Eltern stammen aus der Türkei. Ich habe von Kindheit an immer wieder zu spüren bekommen, dass man sich in einer Gesellschaft fremd fühlt, in der man eigentlich dazu gehören möchte. Durch meinen Namen, meine Muttersprache, wurde mir das immer wieder drastisch vor Augen geführt. Ich habe meinen Weg für mich selbst gefunden, ohne mich dabei aufzugeben – ich bin so wie ich bin, habe ich mir immer wieder gesagt. Dieses Gefühl und dieses Wissen wollte ich schon immer an Jugendliche mit Migrations-Hintergrund weitergeben.

Wie kam es letztlich zu ihrem Engagement als Verantwortliche für die Einrichtung der Schulart Vabo?

Da muss ich schon etwas weiter ausholen. Ich bin nach meinem Lehramtstudium an der Universität in Konstanz als Referendarin an die KHS nach Donaueschingen gekommen, hier geblieben und seit 2009 als Lehrerin tätig. Die KHS hat schon früh die Problematik der Integration und Migration erkannt. Schon ein Jahr später wurde ich die Beauftragte zu diesem Thema und habe im Schuljahr 2011/12 neben der Lehrtätigkeit ein Studium zur interkulturellen Bildung mit Schwerpunkt Sprachförderung an der PH Ludwigsburg absolviert. Es war sehr interessant und ich habe alles aufgesaugt wie ein Schwamm. Wir wurden in alle Richtungen geschult und haben den Umgang mit den verschiedenen Kulturen vermittelt bekommen und auch, welchen Einfluss Kultur auf unser Denken und Handeln hat. An der KHS haben wir bereits früher einige Integrationsprojekte mit Erfolg durchgeführt. Vor zwei Jahren kam dann das Regierungspräsidium auf mich zu und fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, die Leitung der Schulart Vabo zu übernehmen. Ich sagte zu und biete jetzt gleichzeitig Fortbildungen für Lehrkräfte im Bereich interkulturelle Kommunikation und Sprachförderung im Vabo an.

Kommen wir auf die neue Schulart Vabo zu sprechen. Was steckt eigentlich dahinter?

Vabo ist die Abkürzung für Vorqualifizierung für Arbeit und Beruf ohne Deutschkenntnisse. Diese Schulart gibt es in Deutschland eigentlich schon seit über 25 Jahren, nachdem man aus den Fehlern in den 60er- und 70er-Jahren endlich gelernt hatte. Sinn und Zweck des Unterrichts ist die Vorbereitung der jungen Menschen mit Migrations-Hintergrund auf den Beruf. Im Vordergrund steht dabei natürlich das Erlernen der deutschen Sprache. Durch die aktuelle Flüchtlingskrise ist die Thematik wieder in den Focus gerückt.

Wie sieht es konkret an der KHS aus?

Wir haben zum Schuljahr 2015/16 eine Vabo-Klasse eingerichtet. Unterrichtet werden momentan 18 Jugendliche aus Gambia, Eritrea, Syrien, Italien und Rumänien, 15 davon sind Flüchtlinge. Es sprechen zwar alle Englisch, aber die Leistungsstände sind sehr unterschiedlich und man muss sich schon mal mit Armen und Beinen verständigen. Es sind Akademiker, aber auch Analphabeten dabei, die das erste Mal ein Klassenzimmer sehen.

Wie gehen Sie an die schwierige Aufgabe heran?

Zunächst einmal bin ich nicht alleine auf mich gestellt. Wir sind mit Monika Martin, die Deutsch unterrichtet, Andrea Rothfelder für die Berufspraxis, Sebastian Kern als Computerspezialist und Mathematiker Dirk Bolesch ein Lehrerteam mit Erfahrung. Dazu kommt Schulsozialarbeiter Rafael Renkert. Ich selbst bin Klassenlehrerin und unterrichte die Fächer Lebensweltbezogene Kompetenz und Englisch. Das Team wurde bewusst schmal gehalten, damit sich die Jugendlichen auf ihre Ansprechpartner einstellen können. Natürlich ist es schwierig, sich auf die verschiedenen Kulturen einzustellen. Wichtig ist, völlig wertneutral an die Sache heranzugehen, den Blick zu öffnen und zu erkennen, wann eine Grenze erreicht ist.

Wer kann die Vabo-Klasse besuchen und wo kommen die Schüler her?

Alle Jugendlichen, die noch schulpflichtig sind, können zu uns kommen. Die jungen Menschen, die in Frage kommen, werden uns von verschiedenen Stellen, hauptsächlich aber vom DRK gemeldet. Die Fäden im Bereich Donaueschingen laufen bei mir zusammen. Die Jugendlichen kommen nicht aus den Landeserstaufnahmestellen, wie wir auch in Donaueschingen eine haben. Erst nach der Verteilung auf Gemeinschaftsunterkünfte oder Wohnungen in der Stadt oder auf den Dörfern haben sie ein Recht auf den Unterricht. Dabei haben die Jugendlichen unter Umständen eine richtige Odyssee hinter sich.

Wie geht es für die Schüler nach dem einen Jahr Vabo weiter?

Wie bereits gesagt, bereiten wir die Schüler auf den Einstieg in einen Beruf vor. Sie sollten Ende des Schuljahrs soweit sein, das sie erste Praktika in Betrieben machen können. Wenn sie Glück haben, ergattern sie eine Ausbildungsstelle. Es besteht aber auch die Möglichkeit, den Vaba, sprich einen Aufbaukurs, zu besuchen und den Hauptschulabschluss zu machen. Sie könnten dann entweder in eine Regelschulart, zum Beispiel in die Berufsfachschule, kommen oder eine Ausbildung mit Berufsfachschule machen. Auf jeden Fall sollten die Schüler nach den zwei Jahren in der Lage sein, die Regelschulen zu besuchen.

Wie haben die anderen Schüler an der KHS die Einrichtung der Vabo aufgenommen?

Um es gleich vorwegzunehmen – die Mitschüler haben uns gezeigt, wie Integration geht. Aber die ganze Geschichte: Am ersten Schultag haben wir für die neuen Schüler ein Frühstück gerichtet und wollten ihnen erstmal das Schulgebäude zeigen, sprich es ganz ruhig angehen lassen. Wir Lehrer waren alle sehr aufgeregt. Etliche andere Schüler wollten von mir wissen, was hier passiert und als ich ihnen erklärt habe, dass hier eine neue Klasse kommt und darunter auch 15 Flüchtlinge sind, haben sie spontan gefragt, ob sie dazukommen könnten. Jeder brachte noch etwas mit und so wurde gemeinsam gefrühstückt, erste Kontakte geknüpft und die Pause zusammen verbracht – ganz ohne Vorurteile. Das hat mich überrascht und echt gefreut.

Was für Erfahrungen haben Sie bisher mit Ihrer Klasse gemacht?

Eigentlich nur positive. Und das haben mir auch die anderen Kollegen bescheinigt. Die Jugendlichen, die aus den Kriegsgebieten geflohen sind, sind sehr dankbar. Sie sind alle sehr fleißig und wollen ihre Chance, die sich hier bietet, auch nutzen. Nur ein Beispiel: Ein 17-jähriger Schüler kommt aus Syrien. Als sein älterer Bruder in Damaskus erschossen wurde, hat seine Mutter ihn gedrängt, das Land und seine Familie zu verlassen, zumal er kurz davor stand, in die Armee einberufen zu werden. Sie hat ihm das Nötigste eingepackt und ihn ein Stück des Weges begleitet. Auf seiner Flucht kam er letztlich nach Deutschland und nach einer viermonatigen Odyssee landete er schließlich in Donaueschingen. Er ist mein fleißigster Schüler, hellwach und interessiert und hat immer ein Lächeln im Gesicht. Ich habe erst kürzlich geheiratet. Die ganze Klasse war da und hat mir vor dem Standesamt gratuliert. Sie haben mir einen Kuchen gebacken und Schilder hochgehalten, auf denen stand, dass sie mir viel Glück wünschen. Mein Mann und ich und alle meine Gäste waren zutiefst gerührt. Es gibt ganz sicher überall Problemfälle, zu denen ich auch die Aufmärsche der Pegida zähle. Aber wenn ich mir meine Schüler anschaue, sehe ich ein ganz anderes Bild.

Es gibt sicher noch viel mehr junge Menschen, die eine schulische Unterstützung benötigen?

Natürlich, die Wartelisten werden immer länger. Aber das ist nicht ganz so einfach. Wir müssen jetzt erst einmal Erfahrungen sammeln, bevor wir eventuell eine zweite Klasse einrichten können. Außerdem muss das räumliche und personelle Potential vorhanden sein. Es müssten Lehrer mit Zeitverträgen eingestellt werden.

Frau Sahin-Weber, wie ist Ihre ganz persönliche Meinung zur Flüchtlingsproblematik?

Das ist sehr schwierig. Die Bundesregierung und ganz Europa müssen eine Lösung finden. Für mich hat die Thematik durch meine Arbeit ein Gesicht bekommen – ein lächelndes Gesicht.